Wahlen in Kirgisien: Start für Demokratie

Kirgisien ist kein Land, das es jeden Tag in die Zeitungen schafft. Die Nachfolgerepublik der Sowjetunion ist ein Gebirgsland in Zentralasien. Für einen Südtiroler ist die kirgisische Landschaft geradezu heimisch. Wunderschöne Seen und hohe Gebirge prägen das Land. Der größte See Issyk - Kul, gespeist von den Gletschern des Tian-Shan Gebirges ist zehnmal so groß wie der Bodensee und somit der zweitgrößte Bergsee der Welt. Majestätisch erheben sich südlich der Hauptstadt Bischkek - eine Million der gut fünf Millionen Einwohner Kirgisiens leben hier - die Berge des Tian-Shan Gebirges. Das Hochgebirge teilt das Land in zwei Teile und es führt keine wirklich brauchbare Straße darüber. Diese Zweiteilung in den russisch orientierten, modernen und weitgehend laizistischen Norden und den an Traditionen gebundenen und vom Islam charakterisierten Süden, in dem außerdem noch eine starke usbekische Minderheit lebt, prägt das Land auch in politischem Sinne.
Wie in allen Staaten Zentralasiens installierte sich in Kirgisien nach dem Ende der UdSSR schnell eine Diktatur. Das Land verlor seine weitgehend sowjetisch orientierte Industrie und verarmte. Die Menschen leben seitdem von der Landwirtschaft und dem Handel mit dem Grenzland China. Auch der Handel mit Opium, das auf seinem Weg von Afghanistan nach Russland hier vorbeikommt, ist eine weitere Einnahmequelle für die Menschen. Wer politisch im Süden seine Heimat hat, wird im Norden nur schwer akzeptiert und umgekehrt.
Das Land erlebte in den vergangenen 20 Jahren deshalb mehrere Diktatoren, alle verjagten das Volk in regelmäßig wiederkehrenden Aufständen. So auch im vergangenen April, als der korrupte Kurmanbek Bakiyev, ein Südkirgise, nach blutigen Straßenschlachten abdanken und das Land verlassen musste. Eine resolute Frau, Roza Otunbayeva, übernahm das Ruder und versprach den Menschen Demokratie. Sie würde nur so lange Präsidentin bleiben, bis das Land demokratisch sei. Und sie machte Ernst, änderte die Verfassung und ließ die Kirgisen in einem Referendum darüber abstimmen. Dann führte sie ein neues Wahlrecht ein. Nach Parlamentswahlen vor einem Jahr wurde das Land zu einer parlamentarischen Demokratie. Nun sah Otunbayeva ihre Mission erfüllt. Am vergangenen Sonntag sollte ein neuer Präsident gewählt werden, sie selbst kandidierte nicht.
Im Auftrag des Europäischen Parlaments war ich Mitglied des Wahlbeobachtungsteams vor Ort. Wir erlebten ein freies kirgisisches Volk, das im ganzen Land in großen Mengen zu den Urnen ging. Natürlich verliefen die Wahlen nicht vollkommen reibungslos, das konnte auch nicht erwartet werden. Vereinzelte Fälle von Stimmenkauf und Versuche doppelt zu wählen gab es auch bei diesen Wahlen. Viele Wähler fanden sich auf den Wählerlisten nicht wieder und durften deshalb nicht wählen. Aber in einem Land, in dem Nomadentum nach wie vor eine ganz wichtige Rolle spielt und man nicht so genau weiß, wer wo wohnt, hat dies eher mit einer mäßigen Verwaltung zu tun, denn mit absichtlichem Wahlbetrug. Auch von Minderheitenrechten hält man in dem Land, in dem immerhin fast 20 Prozent der Menschen Usbeken und 15 Prozent Russen sind, sehr wenig. Die Kirgisen gaben sich aber insgesamt sichtlich große Mühe, die internationalen Wahlstandards einzuhalten, auch wenn das mit bis zu 3000 Wählern je Wahlsektion nicht immer leicht war. Bis zu 20 Wahlbeobachter der verschiedenen Kandidaten saßen von früh morgens bis spät abends in den Wahllokalen und beobachteten jeden Vorgang genauestens. Am Ende wählten die Menschen mit großer Mehrheit den von Roza Otunbayeva unterstützten Almazbek Atambayev zu ihrem neuen Präsidenten. Damit gaben die Menschen jenen Kandidaten, die sehr offen für eine Rückkehr zu einem starken Präsidenten und damit wohl auch zu alten Zeiten eintraten, eine klare Abfuhr. Dies ist ein Hoffnungsschimmer für dieses wunderschöne, aber arme Land, in dem die Demokratie, wie es die nun ausscheidende Präsidentin in einem Treffen mit uns beschrieben hat, "eine schöne, aber zarte Pflanze" ist.

Veröffentlicht am 31.10.2011
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