Ungarischer Frühling
Die ungarische Demokratie ist rund 20 Jahre jung. Vorher lebte das ungarische Volk zuerst in der österreichisch-ungarischen Monarchie und dann 70 Jahre lang in einem kommunistischen Regime, das von Demokratie keine Ahnung haben wollte. Die Ungarn waren zwar 1956 das erste Volk Mitteleuropas, das sich von der Moskauer Diktatur befreien wollte, jedoch erfolglos.
Aber auch diese junge Demokratie hat bereits einige Verwerfungen erlebt. Der heutige Ministerpräsident Victor Orban war ein führender Kopf des Widerstands gegen den Kommunismus und dann Ministerpräsident des jungen freien Landes. Später wurde seine Regierung von einer sozialdemokratischen Regierung abgelöst. Diese war aber überhaupt nicht imstande, die Probleme des Landes zu lösen. 2010 wählten die Ungarn mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit erneut die konservative Partei Fides und damit Victor Orban zum Ministerpräsident. Die Sozialdemokraten erlebten eine vernichtende Niederlage. Mit dieser breiten Mehrheit krempelt Orban seitdem das Land um und mit dieser Mehrheit hat er auch recht eigenständig dem Land eine neue Verfassung gegeben. Damit wurde übrigens die letzte in kommunistischen Zeiten geschriebene Verfassung in Mitteleuropa ad acta gelegt.
Dies alles sollte man bedenken, wenn man Antworten auf die aktuellen Diskussionen in Ungarn finden will. Die Regierung Orban hat die Verfassung verabschiedet, als ob diese ein einfaches Gesetz wäre und nicht erkannt, dass eine Verfassung von einer möglichst breiten Mehrheit getragen werden muss. Entsprechend hat diese Verfassung einige Fehler, die es zu beheben gilt: Die Nationalbank und der oberste Richterrat müssen unabhängig sein und die Unabhängigkeit der Medien darf gar nicht erst in Frage gestellt werden. Aber wer bestimmt in anderen Staaten die Höchstrichter oder die Verwalter der öffentlichen Medien? Nicht etwa die Politik? Wer soll es sonst tun? Niemand in der derzeitigen Diskussion sagt aber, dass die neue ungarische Verfassung als erste in Europa die europäische Grundrechtecharta aufgenommen hat. Auch erklärt Ungarn den Schutz der Minderheiten als wichtiges Staatsziel. Verfassungen anderer EU Staaten, etwa Frankreich, behaupten bis heute, dass es keine Minderheiten im eigenen Land gibt. Man tut der ungarischen Regierung daher unrecht, wenn man so tut, als wäre die neue Verfassung ein einziger Schund. Gleichzeitig ist es aber richtig, wenn die Europäische Kommission genau hinschaut, ob die Grundgesetze unserer Mitgliedstaaten die Rechtsprinzipien der Union einhalten. Absolut falsch wäre, wenn die EU den Ungarn eine Verfassung vorschreiben würde: Ein Staat muss sich nämlich selbst und auf demokratischen Weg ein Grundgesetz geben und dabei jene Werte beherzigen, zu denen er sich als Mitglied der Europäischen Union verpflichtet haben.