Meine Woche in Straßburg: Schengenboykott und Verbraucherschutz

Die Sitzungswoche des Europäischen Parlaments in Straßburg war einmal mehr interessant: Neben Themen wie etwa dem Verbraucherschutz bei „speziellen“ Nahrungsmitteln und der Rede des peruanischen Präsidenten Ollanta Humala fuhr das Präsidiums des Europäischen Parlaments schwere Geschütze gegen den Rat auf und boykottierte kurzum fünf Gesetzesinitiativen.
Aber der Reihe nach. „Mein Land strebt Richtung Demokratie und wir wollen uns im Kampf gegen die Armut und für eine bessere soziale Integration Benachteiligter engagieren“, versicherte Humala zu Beginn seiner Rede und plädierte für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Europa und Peru. Anschließend stimmten wir für einen Entschließungsantrag, der den Schutz der Menschenrechte als Bedingung für einen Handelsvertrag mit Peru und Kolumbien festlegt.
Wichtiges Thema auf der Agenda in Straßburg war dann der Verbraucherschutz: Der Kauf von "speziellen" Nahrungsmitteln stellt viele Verbraucher vor Probleme. Welche Produkte eignen sich für Kleinkinder, welche für Allergiker? Diese Woche haben wir einem Gesetzesvorschlag zugestimmt, der es Verbrauchern leichter machen soll, Nahrungsmittel für Babys und Kleinkinder sowie für medizinische Zwecke auszuwählen. Aus Südtiroler Sicht ist die Frage der Kennzeichnung von Gluten besonders wichtig, zumal einer der führenden Hersteller Gluten-freier Produkte seinen Sitz hierzulande hat. Es ist uns gelungen, die Interessen der Südtiroler Wirtschaft in Brüssel zu sichern, sodass Glutenprodukte auch weiterhin eine gesonderte Lebensmittelkategorie bleiben. Importierte Produkte müssen europaweit selbstverständlich dieselben Ansprüche erfüllen, die verschärfte Überwachung des Lebensmittelmarktes ist deshalb unabdingbar.
Schlussendlich war die Woche noch von einem Boykott des EU-Parlaments im Streit um die Grenzkontrollen im Schengenraum geprägt. Nachdem der Rat eine Regelung, welche die Möglichkeit zur Grenzschließung für 24 Monate vorsieht, durchboxen wollte, kam es zum Eklat. Nach einer intensiven Debatte hat das Präsidium des Europäischen Parlaments (Fraktionsvorsitzende und Parlamentspräsident) entschieden, die Zusammenarbeit des Parlaments mit dem Rat der Europäischen Union bei fünf Gesetzesinitiativen auszusetzen bis eine Einigung über die Reform des Schengen-Paktes erzielt wurde. Die Auswirkungen auf unser Land wären verheerend. Stellen Sie sich vor, Sie dürften für zwei Jahre plötzlich nicht mehr frei über den Brenner fahren?
Man werde die Zusammenarbeit mit den Regierungen in den Bereichen Schengen-Reform und Justiz boykottieren, bis die Frage der Mitsprache des Parlaments bei der Prüfung der Schengen-Regeln geklärt sei, sagte Parlamentspräsident Martin Schulz am Donnerstag. Noch nie wurde während eines Gesetzgebungsprozess eine der beiden Legislativkammern von der anderen ausgeschlossen. Die vom Rat für Justiz und Inneres am siebten Juni gewählte Gangart ist ein Schlag ins Gesicht für die Demokratie und für die gewählten Vertreter der europäischen Bürger inakzeptabel. Deshalb sah sich das Präsidium gezwungen, solche drastischen Maßnahmen zu ergreifen. Die Parlamentarier wollen vor den Europäischen Gerichtshof nach Luxemburg ziehen, um ihren Mitsprache-Anspruch klären zu lassen. Schelte für die Regierungen der Mitgliedsstaaten gab es aber auch von der Europäischen Kommission. Das Präsidium beschloss auch, die Tagesordnung der Sitzungswoche des Europäischen Parlaments im Juli zu ändern und Schengen-relevanten Berichte erst später zu behandeln.
Herbert Dorfmann
Mitglied des Europäischen Parlaments

Veröffentlicht am 18.06.2012
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