09.05.2012 - Europatag: Zeit für eine neue Chance
Am 9. Mai 1952 verkündete der französische Außenminister Robert Schumann seine Vorstellung vom zukünftigen Europa. Seine Idee war simpel und bahnbrechend zugleich: Man müsse in Europa aufhören, Kriege zu führen und diese dann mit Friedensverträgen abzuschließen, deren Bruch dann unweigerlich zu neuen Kriegen führt. Vielmehr sei es notwendig, dass die Staaten gemeinsame politische Projekte entwickeln, welche sie so eng zusammenschweißen, dass ein Krieg unmöglich wird. So könnten beispielsweise Deutschland und Frankreich, damals seit Jahrzehnten Erzfeinde und wichtige Protagonisten der gerade zu Ende gegangenen Weltkriege, die Energiepolitik und die Versorgung mit Baustoffen gemeinsam machen. Wer immer in Europa die gemeinsam beschlossenen Regeln einhält, könne sich dann an dieser Zusammenarbeit beteiligen. Diese Schumann - Erklärung war der Grundstein der heutigen EU. Deshalb feiert die Union am Jahrestag ihrer Veröffentlichung den Europatag. In diesem Jahr fällt der Tag auf einen besonderen Moment der europäischen Geschichte: Die Krise der europäischen Wirtschaft und insbesondere einiger Staaten stellen die Grundwerte der Union in Frage. Hat es noch Sinn, der Idee Schumanns zu folgen und Frieden und Freiheit in Europa durch enge politische Zusammenarbeit sicher zu stellen? Wie weit kann oder muss die Solidarität zwischen den Staaten gehen? Sind alle Mitglieder in Europa gleichberechtigt oder gibt es Staaten, die, durch große Wirtschaftskraft legitimiert, den anderen einen Weg aufdrängen? Die Wahlen in Frankreich, Griechenland und Italien am Wochenende haben mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Während bis vor wenigen Monaten die Europapolitik bei nationalen Wahlkämpfen im besten aller Fälle eine Nebenrolle spielte, ging es in diesen Wahlen fast nur um Europa.
In Frankreich lehnten die Menschen die von Nicolas Sarkozy zum Teil "tolpatschig" dargestellte Europapolitik ab. Die "Grand Nation" wollte Seite an Seite mit Deutschland Europa führen und damit zeigen, dass man zu den zwei großen in Europa gehört. Aber Sarkozy hat nicht verstanden, dass sein Land wirtschaftlich Deutschland nicht mehr das Wasser reichen kann und er selbst politisch nicht das Charisma eines Francois Mitterrand hat, der mit Helmut Kohl entscheidende Schritte für Europa gemacht hat. Und so haben zwei in Europa sich verbündet und die anderen 25 damit verärgert. "Merkozy" empfanden viele nicht als leuchtenden europäischen Pfad, sondern als Bevormundung. Übrig bleibt für die EU ein politischer Scherbenhaufen.
In Griechenland haben viele Bürger jene Parteien gewählt, die den gemeinsamen europäischen Weg ablehnen. Die europäische Solidarität zur Rettung des Landes vor dem totalen wirtschaftlichen Ruin wird als Diktat aus Berlin empfunden. Die Menschen wollen zurück zu den alten Zeiten, ohne dabei zu verstehen, dass die EU den Staat über Jahrzehnte durchgefüttert hat und dieser dabei nicht besser, sondern noch ineffizienter geworden ist. Die Regionalwahlen in Italien waren indes ein Vorgeschmack auf das was kommen wird. Die Kräfte, die eine nachhaltige Haushaltspolitik ablehnen und glauben, dass ein Staat ausgeben kann, ohne auf die Einnahmen zu schauen, formieren sich. Beppe Grillo, der ins gleiche Horn bläst wie die Sieger in Griechenland, wird den Aufwind spüren.
In den nächsten Monaten werden wir in der europäischen Politik gut beraten sein, wenn wir die Ideen Schumanns wieder einmal genauer studieren. Der Weg der gemeinsamen, freiwilligen Zusammenarbeit, deren gemeinsam entschiedene Regeln aber für alle zur Pflicht werden, ist der einzig gangbare. Wenn man dies beherzigt, werden die Griechen gleich wie die Italiener, Spanier oder Portugiesen entscheiden müssen, ob sie notwendige Reformen des Staatswesens akzeptieren oder sich aus der europäischen Solidarität verabschieden wollen. Und der neue französische Präsident wird erkennen müssen, dass gemeinsam entschiedene Regeln wie der Fiskalpakt nicht deshalb neu geschrieben wird, weil sich ein Land einen neuen Präsidenten gewählt hat. Wirklich nach vorne kommen wird die Union nur, wenn wieder alle verstehen, dass sie aus 27 und bald 28 gleichberechtigten Mitgliedern besteht.